Ein flapsiger Menschenfeind: Jussi Adler Olsens „Erbarmen“
Jussi Adler Olsen ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Europas: Die Krimis um den Sonderermittler Carl Morck kommen stets auf Spitzenplätze der deutschen Bestsellerlisten. Kein Däne verkauft bei uns mehr Bücher.
So ist es erstaunlich, dass erst in der kommenden Woche eine Verfilmung in die deutschen Kinos kommt:
„Erbarmen“, der erste von fünf Fällen des Kommissars Carl Morck. Die Bücher von Olsen lesen sich schon wie Drehbücher, wie vorbereitet für die Verfilmung: schlicht, einfach schlicht.
Die Kritiken für den Film sind eher verhalten: durchschnittlich spannend – und keineswegs so spektakulär wie die Verfilmungen der Stieg-Larsson-Trilogie.
Der Schwede Larsson, auch ein Bestseller-Autor, hatte eine ebenso lange wie spannende Verschwörungsgeschichte geschrieben um den Enthüllungs-Journalisten Mikael und die skurrile Internet-Hackerin Lisbeth. Die Kritiker waren entweder begeistert oder entsetzt über Stil wie Handlung in Larssons Romanen – so wie sie es bei Olsen sind.
Worum geht es in „Erbarmen“, dem ersten Fall des Kommissars Carl Morck vom Sonderdezernat Q: Ein Frau wird vermisst, die Polizei tappt im Dunkeln, legt den Fall als „ungelöst“ ab, obwohl in demselben Monat fünf weitere Frauen verschwinden.
Offenbar hat das Verschwinden zu tun mit einem Tabu-Thema der dänischen Geschichte: Fast vierzig Jahre lang bis 1961 sperrte der Staat „unmoralische“ Frauen auf eine Insel und sterilisierte sie.
Wie in den anderen Morck-Büchern hat der Kommissar nicht nur seine Probleme im Dienst, sondern auch im Privaten: Er plagt sich mit Schwester und Bruder herum und vor allem mit der geldgierigen Noch-Ehefrau und einer drohenden Scheidung.
Wie in vielen nordischen Krimis stehen Charakter, Eigenwilligkeit und Lebensverdruss des Kommissars im Mittelpunkt: Sie sind der personifizierte Weltuntergang, glauben weder an Gott noch die Menschen noch an sich selbst – und sind mit dieser Weltsicht prädestiniert, selbst die schwierigsten Fälle zu lösen.
Doch während bei den meisten Nord-Kommissaren, wie Mankells „Wallander“, eine stolze, auf Mitleid zielende Melancholie herrscht, ist Carl Morck ein flapsiger Menschenfeind mit verletzenden Sprüchen und flapsigem Benehmen. Ein pubertierender Jüngling könnte nicht schlimmer sein.
Ein Beispiel aus „Erwartung“, dem neuen, dem fünften Carl-Morck-Roman:
„Kopfschüttelnd sah sich Morck in der Kantine um. Was sollte das denn werden? War er in einen Kindergeburtstag geraten oder hatte einer der Kollegen zum soundsovielten Mal geheiratet – in der bescheuerten Annahme, dass ihn diesmal das irdische Paradies erwartete?“
Wer diesen Ton mag, liest die Krimis mit Begeisterung. Wer ihn nicht mag, langweilt sich. Aber Hunderttausende von begeisterten Lesern können nicht irren.
Worum geht es im neuen, dem fünften Roman, in „Erwartung“:
Die Mafia hat Kopenhagen im Griff, die Politik ebenso wie die Finanzwelt. Zwischen die Fronten gerät der fünfzehnjährige Marco, ein berufsmäßiger Bettler, der vor dem brutalen Anführer flieht, eine Männerleiche findet und um sein Leben fürchten muss.
Marco fühlt sich auch nicht wohl in dieser kalten Welt – in dieser typischen dänischen Krimi-Welt, die so gar nichts gemein hat mit den Dänen, die wir im Strand-Urlaub auf Bornholm kennenlernen, mit denen sich gut feiern lässt und die so herrlich unkompliziert sind. Bei Olsen sind die Dänen anders:
„Die Dänen hielten sich lieber zurück, wenn es darauf ankam, das wusste Marco aus Erfahrung. Wie oft hätte er selbst damals aufgehalten werden können, wenn die Hilferufe der Überfallenen durch die Straßen hallten. Doch dergleichen war nie passiert. Damals hatte ihm diese Passivität Sicherheit verliehen, heute machte sie ihn nervös.“
Den Leser macht es nicht nervös.
THÜRINGER ALLGEMEINE – Ausgabe Erfurt, 18.01.2014, S. 31 / Beilage
Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Ein flapsiger Menschenfeind: Jussi Adler Olsens „Erbarmen“"
Ähnliche Artikel zum Thema
- Goethe, Frauen und der Wein
- Auferstehung, Entschleunigung und die Unruhe in unserem Leben (Oster-Kommentar)
- Weimar, die Krimi-Stadt: Eine wilde Geschichte um Lyonel Feiningers „Blaue Kathedrale“
- Ein ungewöhnliches DDR-Journalistenleben: Uwe Gerigs „Geschichten aus einem zerrissenen Land“
- Das „Kursbuch“ lebt noch und fragt: Ist Pegida Kunst? Oder das Zaubern?