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Weimar, die Krimi-Stadt: Eine wilde Geschichte um Lyonel Feiningers „Blaue Kathedrale“

0 Kommentare / Geschrieben am 31. Januar 2016 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Führung, Krimis.

Felix Leibrock: Todesblau.  Knaur Taschenbuch,  350 Seiten, 9,99 Euro

Weimar ist die Klassiker-Stadt, die deutsche: Goethe, Schiller und viele mehr. Weimar ist die Krimi-Stadt, die thüringische: „Tatort“ mit Nora Tschirner, Felix Leibrock als Mankell von Weimar und Ralf Kirsten als Polizeichef, der in einem „Tatort“ eine tragende Nebenrolle hatte und von einem Neonazi verprügelt wurde, wirklich und nicht gespielt.

Ob Felix Leibrock, der Krimis schreibende Pfarrer, den Weimarer Polizeichef kennt? Wohl kaum. In seinem zweiten Weimar-Krimi „Todesblau“ heißt der oberste Polizist Remde: Ein unangenehmer Mensch, ein noch unangenehmerer Vorgesetzter, ein eitler Typ, dessen „Druckventil“ bisweilen platzt und den seine Vorgesetzten, „die Fuzzis in Jena oder Erfurt“, auch nicht mögen.

„Ganz schön viele Ichs“, denkt der Polizist Woltmann, der sich aus Berlin in seine Heimatstadt Weimar versetzen ließ. „Ob Remde immer schon so gewesen war? Oder hat ihn erst dieser ständige Rechtfertigungszwang, dieses unablässige Gemessenwerden an Ermittlungsergebnissen dazu gebracht, sich permanent zu beweihräuchern, und sei es auch nur für den kleinsten Erfolg?“

Typen wie Remde brauchen Untergebene, die treu ergeben sind, aber sonst wenig zum Erfolg beitragen. Scholz heißt der Speichel-Lecker in Leibrocks Krimi: Als sein Chef wieder einmal einen Erfolg feiert, der doch wieder keiner ist, als Remde „laut wie ein Rohrspatz triumphiert“, thront sein Scholz in der Pressekonferenz in der ersten Reihe, sein Scholz, „dessen Vorgarten auf der Schädeldecke vor lauter zustimmendem Kopfwackeln bei jedem Satz Remdes auf und ab wedelte“.

Wie funktioniert so ein Ermittler-Team? Leibrock schildert die Dynamik dieser Truppe in Weimar so treffend, dass allein das Zusammenspiel der unterschiedlichen Typen die Lektüre von „Todesblau“ lohnt. Auf der einen Seite der unleidliche, von Vorurteilen gelenkte Chef, und sein Verehrer Scholz; auf der anderen Seite Mandy Hoppe, eine kluge Ermittlerin mit diplomatischem Geschick, und ihr Ex-Schulfreund Sascha Wortmann, der als einfacher Polizist ins Team kommt, aber seine Chance nutzen will, endlich zur Kripo zu kommen.

Woltmann treibt die Handlung voran: Er rennt noch nicht in die Fallen der Routine, ist unkonventionell und bereit, Fehler zu machen und zu vertuschen – wenn sie der Sache dienen. So werden Sascha und Mandy zum Motor der Handlung, die doch recht träge fließt wie die Ilm in einem warmen Sommer.

Der Plot, die Handlung des Krimis, ist regelrecht weimarisch. Es geht um ein zufällig entdecktes Gemälde Lyonel Feiningers: Die blaue Kathedrale. Solch ein Gemälde ist intelligent erfunden. Lyonel Feininger schuf den Holzschnitt „Kathedrale“ auf dem Titelblatt von Gropius‘ „Bauhaus-Manifest“ von 1919; fünf Jahre später gründete er mit Paul Klee, Wassily Kandinsky und Alexej Jawlensky die Künstlergruppe „Die blauen Vier“. So spielt auch Gelmeroda, die kleine Dorfkirche oberhalb von Weimar, in Leibrocks Krimi mit: Über hundert Mal hat Feininger die Kirche mit dem markanten spitzen Kirchturm als Motiv gewählt.

Wer Weimar mag oder kennenlernen will, taucht in diesem Krimi tief in diese geschichtsträchtige Stadt ein: Der Elephant, der Park an der Ilm, der Gingko-Baum am Platz der Demokratie, die Bauhaus-Universität. In den Nebenhandlungen wirbelt DDR-Vergangenheit hinein: Im Ernst-Thälmann-Kinderheim misshandelten Erzieherinnen Kinder, die die Volkspolizei während der „Ungeziefer“-Deportationen aus dem Eichsfeld in die Nähe Weimar brachte.

Und wer Lust hat, kann nach den Vorbildern mancher Personen und Orte in Weimars Wirklichkeit suchen: Welcher Redakteur verbirgt sich hinter Stoffels? Welche Zeitung hinter der „Thüringer Rundschau“, die im Weimarer Pressehaus redigiert wird? Hinter Hallo-Weimar-TV? Dem Gut Eichenroda?

Weimars alte und neue Liebhaber werden ihre Freude an „Todesblau“ haben: Krimi-Liebhaber dagegen mühen sich eher durch den nur mäßig spannenden Krimi.

Am 22. April stellt Felix Leibrock nach „Tempelbrand“ und „Todesblau“ im Hotel Elephant seinen dritten Weimar-Krimi vor: „Eisesgrün“.

LESEPROBE

Remdes Tonfall war ins Hysterische gekippt.

„Chef, ich habe mal über Lombardi recherchiert“, wagte sich Scholz vor. Doch Remde überging den Einwurf und fuhr ungeniert fort.

„Als ich damals den Pferdemörder festgenommen habe, erinnert sich vielleicht noch jemand daran? Das war der Täter, der sämtliche Pferdehalter im Weimarer Land in Angst und Schrecken versetzt hat. Durfte ja in der DDR keiner offen sprechen drüber. Die Stasi hatte da die Hand drauf. Waren ja vielleicht politisch motivierte Taten, eine Art Denkzettel für bestimmte Parteibonzen, weil es kaum wohl zufällig deren Edelpferde waren, jedenfalls, wo war ich stehengeblieben? Ja, genau, damals, da hatten alle schon gemeint, der Pferdemörder sei nur dann zu finden, wenn man ihn auf frischer Tat ertappt. Aber was habe ich getan? Nun, was wohl?“

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Thüringer Allgemeine, Thüringen-Sonntag, 23. Januar 2016, Seite 31

 

 

Letzte Kommentare

  • Andreas: Vielen Dank für den Spoiler…. manche Leute sollten wirklich überlegen die Finger vom Netz zu lassen.
  • Paul-Josef Raue: Lieber Herr Kretschmer, ich nehme das „Abendland“ nicht als geographischen Begriff,...
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