Auferstehung, Entschleunigung und die Unruhe in unserem Leben (Oster-Kommentar)
„Auferstehung“ – ein Wort von gestern? Ein Wort für die Gestrigen, die dem Glauben mehr vertrauen als dem Wissen? Die meisten werden „Ja“ antworten, sonnige Frühlingstage genießen und durchatmen.
Diese Sehnsucht nach Ruhe zeigt: Auferstehung ist nicht erledigt, wir haben nur neue Wörter für sie erfunden. Entschleunigung ist eines von ihnen. Wir merken: Der Rhythmus der neuen Zeit, die unsere Zeit ist, bringt Menschen aus ihrem Rhythmus; viele sind überfordert, einige werden krank, manche brennen aus.
Fast alle wollen wieder aufstehen, wenn sie niedergeschlagen sind: Die eine geht in ayurvedische Wochen und streichelt ihre Seele mit Ölen; der andere wandert nach Santiago und ist einfach mal weg; wieder andere ziehen für eine Zeit in Kloster und suchen im Leben der Mönche ein neues Maß für ihr Leben.
All diesen Entschleunigern ist eines gemeinsam: Der Verzicht auf Unruhe-Stifter unseres Lebens, Fernsehen, Smartphone, Auto und ständige Verfügbarkeit – die eine Verfügbarkeit durch andere auf unser Leben ist.
Dabei geht es uns eigentlich gut – im Vergleich zu Menschen, die ehedem noch fest an die alte Auferstehung glaubten: Sechs-Tage-Woche, 14 Stunden schwere Arbeit, unheilbare Krankheiten, trotzdem Hunger, Entbehrung, Krieg.
Haben wir die Demut verloren, uns über ein Leben zu freuen, von dem alle Generationen vor uns geträumt haben? Und viele Menschen auf dem Globus noch heute träumen? Wir haben die Auferstehung verloren – und sehnen uns heimlich danach.
Thüringer Allgemeine, 19. April – Ostern – 2014
Burn-out: Es ist ist besser zu verbrennen als zu verwelken
Wer vom Burn-out spricht, sollte Neil Youngs Lied „My my, Hey hey“ hören, das Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief zitiert:
My my, hey hey Rock and roll is here to stay It’s better to burn out Than to fade away My my, hey hey.
Es ist besser zu verbrennen als zu verwelken.
Der ideale Führungsstil
So viel Nähe wie möglich und so viel Distanz wie nötig
Christof Kneer in seinem Porträt über Bayern-Trainer Pep Guardiola (SZ, 29.3.2014)
Gewalt, Machtmissbrauch, Korruption – Ulrich Wickerts fünfter Krimi um den Pariser Richter Ricou
Ulrich Wickert: Das marokkanische Mädchen. Hoffmann-und-Campe, 318 Seiten, 19.99 Euro
Ein Mann will Präsident Frankreichs werden – mit allen Mitteln. Er weiß, dass er für sein größtes, sein einziges Ziel viele gute Beziehungen braucht, dass er entschlossen, gar unerbittlich sein muss und über Leichen gehen – und dass er Geld braucht, viel Geld.
Die Geschichte eines Politikers, der für die Macht alles macht, diese Geschichte erzählt Ulrich Wickert im neuen Krimi um den Untersuchungsrichter Ricou. Wie in den vier vorangegangenen Ricou-Geschichten stilisiert Wickert den Richter als einen Leuchtturm der Gerechtigkeit: Seine Feinde beförderten ihn am liebsten ins Jenseits; seine Freunde treffen ihn am liebsten im Bistro nebenan zu einem warmen Croissant und einem Café creme.
Es mag sein, dass Wickert seinen unerschrockenen Richter idealisiert, ein wenig zu sehr in einen Himmel hebt, in dem die guten Menschen ihren Rotwein trinken. Aber solche Menschen wärmen das Herz.
Als der erfahrene Kommissar, ein Freund des Richters, sieht, wie ein junger Polizist in ein Schnell-Cafés gehen will, ist er verwirrt: „Du kannst doch nicht in ein Starbucks gehen, wenn drei Meter weiter ein nettes französisches Bistro offen hat.“ Aber da könne er den Kaffee gleich mitnehmen, sagt der Polizist.
Der Kommissar hält dagegen: „Statt des Kaffeebechers sollten wir uns die Zeit für eine zivilisierte Tasse nehmen. Wir trinken im Bistro unseren Kaffee – stehend an der Theke. Wie unsere Väter und Großväter.“
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Der Kommissar und sein Freund, der Richter, leben in einer Welt, in der es in der lauten Stadt noch nette Bistros gibt und einen Gaston, der seinen Gästen jeden Wunsch abliest, in der nebenan die netten Nachbarn wohnen – und auch eine nette Frau, an die sich ein Richter nach einem schweren Tag anlehnen kann.
Dass diese nette Frau eine Reporterin ist, gar eine Reporterin für die schweren Fälle, das hilft nicht nur dem Richter bei seinen Ermittlungen, sondern auch dem Autor, um seine Erzählung im Fluss zu halten. Denn die Gegenwelt zur heilen, bald aussterbenden Bistro-Welt des Richters ist ein Moloch der Gewalt und des Machtmissbrauchs, der Korruption und Unmenschlichkeit.
Was Wickerts Krimi über die skandinavischen wie Mankells Kommissar Wallander erhebt, ist die Nähe zur Realität. Die Schurken aus der „Bling-Bling-Gesellschaft“, wie sie Wickert nennt, diese Schurken haben Namen, die wir aus der „Tagesschau“ kennen, etwa: Gaddafi, der Sarkozys Wahlkampf finanzierte; Mitterand, der Chinas Kommunisten bestach, um ein Fregatten-Geschäft mit Taiwan abzuwickeln.
Es ist ein Krimi über die große Bedrohung jeder Demokratie: Korruption. Ricous Freundin, die Reporterin, zählt die großen französischen Bestechung-Skandale auf:
„Die U-Boote für Pakistan. Die Waffenlieferungen nach Angola. Der Kauf der ostdeutschen Raffinerie Leuna durch Elf-Aquitaine.“
Die tragische Geschichte des marokkanischen Mädchens, die als einzige einen Mordanschlag überlebte, ist nur der Vordergrund eines politischen Dramas: Was ist das Leben eines Kindes gegen die Macht und die Gier eines Menschen, unbedingt Präsident zu werden?
Dabei ist Wickerts Krimi zuerst ein richtiger Krimi: Er beginnt mit einem Dreifach-Mord, führt nach Marokko und zu einem Attentat mit vielen Toten, einem Mord und einem Überlebenden, der sich später selber richtet, er führt zu einem Anschlag auf den Richter – und zu einem furiosen und spannenden Finale sowie, als Trost, in den letzten Sätzen zu einem leichten Liebes-Wirrwarr, das Wickert wahrscheinlich im nächsten Ricou-Krimi ausführlich beschreiben wird.
Der Krimi hat neben vielen Vorzügen einen weiteren: Er ist in kurze Kapitel unterteilt und eignet sich als ideale Bettlektüre – wenn da nicht die vielen Namen wären! Selten tauchen in einem 318-Seiten-Roman so viele Akteure auf, deren Namen ein des Französischen unkundiger Leser nur schwer auseinander halten kann. Dennoch: Wickert, der Ex-Tagesthemen-Moderator, ist besser als Mankell, er kann erzählen, und er kann schreiben.
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MARKIERT (Leseprobe)
Der Minister wütet
„Ich werde überhaupt nicht mit Ihnen reden. Ich habe nichts zu sagen!“, schrie der ehemalige Innenminister den Kriminalkommissar an. Und fügte grob hinzu, er könne ihn mal am Arsch lecken.
„Sie verstehen, dass ich Ihre Aussage jetzt notieren und von Zeugen bestätigen lasse“, sagte Jean Mahon. „Als Sie noch Innenminister waren, haben Sie jedem Polizisten eingebläut, er solle gegen Beleidigungen sofort vorgehen.“
Genau um sechs Uhr früh hatte Kommissar Jean Mahon in dem berühmten Mittelmeerort Fréjus an der von süß duftenden Glyzinien umrankten Haustür von Louis de Ronsards Villa geklingelt. Als sich niemand regte, klingelte er noch einmal, sogar ein drittes Mal, dann gab er den Befehl, die Tür aufzubrechen.
Im Bademantel kam Ronsard die Treppe aus der oberen Etage so schnell herunter, dass er fast stolperte. Als er die Polizisten in Uniform sah, fragte er brüllend, welcher Richter ihnen den Durchsuchungsbefehl unterschrieben hätte. Aber ohne auf eine Antwort zu warten, fügte er hinzu: „Wer immer es ist, ich scheiß auf ihn!“
Die sechs Polizisten, die Jean Mahon mitgenommen hatte, waren in die verschiedenen Ecken des Hauses ausgeschwärmt, um sicherzustellen, dass niemand im Haus versuchte, Beweismaterial zu vernichten.Auf dem Treppenansatz erschien eine junge Frau, die nichts aussah wie Ronsards Ehefrau. Sie hielt einen zu großen Morgenmantel mit beiden Händen vor der Brust zusammen. Als sie von Ronsard wissen wollte, was denn los sei, schrie er sie an: „Geh zurück ins Bett. Die Stasi ist da“.
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„Sie sind verhaftet“, sagte der Kommissar lakonisch. „Nehmt ihn mit. Im Bademantel!“
„Und das Mädchen?“
Insgeheim fand (Kommissar) Jean Mahon die Lage amüsant, denn er wusste, was er anrichtete. Draußen stand ein Dutzend Fotografen und Kameraleute. Die Durchsuchung des Privathauses des ehemaligen Ministers, der lange Jahre auch Bürgermeister von Fréjus gewesen war, hatte sich längst rumgesprochen.
„Das Mädchen im Morgenmantel nehmt ihr auch mit.“ Er schaute einen seiner ältesten Mitarbeiter durchdringend an, ohne eine Miene zu verziehen. Der verstand den Blick. Wenn der Morgenmantel des Mädchens ein wenig verrutscht, werden sich die Fotografen freuen.
Thüringer Allgemeine 29. März 2014
Goethe, Frauen und der Wein
Wie viel ist schon über Frauen und Wein geschrieben worden. Rudi Schuricke hat das Thema Anfang der fünfziger Jahre in die Hitparade gesungen. Aber so schön wie Goethe hat keiner die Liebesbeziehung zwischen Frau und Wein beschrieben:
Erst jetzt spür ich, daß sie da waren – wie man erst den Wein spürt, wenn er eine Weile hinunter ist.
Brief vom August 1780 an die schöne Frau von Branconi, Mätresse des Erbprinzen von Braunschweig. Weiter schreibt Goethe:
In Ihrer Gegenwart wünscht man sich reicher an Augen, Ohren und Geist, um nur sehen und glaubwürdig und begreiflich finden zu können, daß es dem Himmel, nach so viel verunglückten Versuchen, auch einmal gefallen und geglückt hat, etwas Ihresgleichen zu machen.
Was für ein Liebesbrief an eine unerreichbare Liebe!
Der Weg in die Stille – Ein Sohn begleitet seinen dementen Vater in den letzten Jahren des Lebens
Bernd Eichmann: Vatter baut ab. Eine Geschichte von Demenz und Liebe. Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 17.99 Euro
Wann hören wir auf zu leben? Wenn Ärzte die Apparate abstellen? Wenn der Totenschein ausgestellt wird? Oder schon viel früher: Wenn die Erinnerung in einem Nebel verschwindet? Wenn wir Menschen, die wir lieben, bisweilen nicht mehr erkennen? Wenn wir die Kontrolle über unseren Körper verlieren?
Wann beginnen wir zu sterben? Wir streiten uns oft unbarmherzig über den Zeitpunkt des Todes, die Organspende, über die Sterbehilfe mittels eines Schirlingbechers – und vergessen, dass sich die meisten Menschen weniger dramatisch verabschieden: Langsam, milde, satt vom Leben. Und wir vergessen, dass die Zurückbleibenden meist mehr leiden als die Sterbenden.
Einer dieser Zurückbleibenden hat ein wunderbares Buch geschrieben über das fast drei Jahre währende Sterben seines Vaters. Dies Buch des Journalisten Bernd Eichmann ist ein Wunder, weil es dem Sterben seine Würde zurückgibt – als Teil unseres Lebens. Sterben ist kein Zeitpunkt, meist auch kein kurzer Prozess, sondern eine abenteuerliche Reise.
Es ist eine Reise zurück. Der Sohn fragt, den dementen Vater beobachtend: „Vielleicht ist der vernunftbegabte Mensch nur ein Unfall der Evolution und Alzheimer ein Korrektiv?“
Diese Frage, ja dieser „metaphysische Schauer“ kommt dem Sohn, als er sieht, wie sich der Vater mit einem Kater anfreundet:
Vatter, der als Kind einert gefühlskalten Mutter und einer gewalttätigen Zeit Zärtlichkeit nie kennenlernen durfte, streicht mit sanfter, vorsichtiger Hand dem Kater das sonnenwarme Fell. Ganz konzentriert, vertieft in das Du.
Bernd Eichmann nimmt sich Zeit für die beiden letzten Lebensjahre seines Vaters: Ist das Sterben? Ist es noch Leben? Auf jeden Fall fällt dem Sohn der lange Abschied schwerer als dem Vater.
Er schreibt eine Art Tagebuch, notiert und analysiert die Phasen – während der Vater einfach lebt. „Alles andere ist Gedankenmüll“, schreibt der Sohn.
Diagnose Alzheimer, fortgeschritten:
„Sie sollten es nehmen, wie es ist!“, sagt der Arzt. „Ein Mensch erlischt. So ist das Leben.“
Von der eigenen Wohnung ins Heim:
Ob es ihm hier nicht langweilig würde, fragt der Sohn. Er langweile sich nie, sagt der Vater, er denke nach. „Über sein Leben? Nein, über das, was er sieht“, sagt der Vater.
Umzug ins Haus des Sohns:
Vater dreht wieder allein seine Runde, verläuft sich, wird von der Polizei aufgegriffen. „Da mein Vater Zukunft nicht mehr denken kann und unmittelbar Vergangenes schnell vergisst, hat er nur Probleme mit der Gegenwart. Am liebsten wäre ihm die Wiederholung des ewig Gleichen.“
Die erste Ahnung vom Alt-Sein:
„Vatter muss die Dinge langam belichten, um sie wahrnehmen zu können. Alles Schnelle, Hektische fällt durch sein grobmaschiges Raster. Jüngere Hirne reagieren umgekehrt: Das Neue, Schnelle, Plötzliche nimmt die Aufmerksamkeit sofort gefangen. Ein lebenserhaltender Reflex: Es könnte etwas Gefährliches sein und eine sofortige Reaktion erfordern! … Ich habe zum ersten Mal eine Ahnung davon, was es heißt, alt zu sein. Und dement.“
Die Verzweiflung des Sohns: Er versteht den Vater nicht mehr, der die Klobürste in die Blumenvase steckt, er kann die Worte nicht mehr entschlüsseln. „Versuche verzweifelt, dem Sinnlosen einen Sinn zu geben, weil ich mich mit Vatters Krankheit nicht abfinden will. Denn wo kein Sinn mehr ist, beginnt die große Angst.“
Erinnerung an Buchenwald:
Der Vater war ein jüdischer Fabrikant, den die Nazis in Buchenwald internierten. Schwer traumatisiert kehrt der 23jährige nach dem Krieg zurück, fasst nur noch schwer Fuß und wird mit 53 mit einem „KZ-Syndrom“ berufsunfähig.
Das Bett:
Die Welt wird kleiner. Durch ein großes Panoramafenster schaut er aus seinem Bett, an das er gefsselt ist, ruhig auf die Welt. „Das ist das Geschenk seines hohen Alters: Die Gnade einer Welt hinter Glas.“ Er schaut noch auf seine Bücherwand, aber liest nicht mehr. In einem klaren Moment sagt er: „Wenn du alles getan hast, gehst du in die Stille.“
Der Sohn leidet – weil er den Vater nicht verstehen kann.
Der Grund für mein Schwächeln ist nicht mein biologisches Alter. Es ist meine geistige Disposition: Ich bin linkshirnig, verkopft und neurotisch, eine sprachgesteuerte Intelligenzform, die Körpersignale nicht gewohnt ist.
Ich bin jederzeit bereit, Shakespeare-Sonette zu rezitieren, Kästnergedichte und Fabeln von Lafontaine. Natürlich komplett und in den Originalsprachen. Das Problem ist nur: Das hilft mir alles nicht. Denn Vatter kann man nicht auswendig lernen.
Mit einer Lungenentzündung kommt der Vater ins Krankenhaus, sagt zu seinem Sohn sanft „Du kannst jetzt gehen“ und stirbt wenig später. Allein.
MARKIERT (Leseprobe aus Eichmanns „Vatter baut ab“)
Der Augenmensch
Vatter ist darauf angewiesen, die Welt zu sehen. Alter und Krankheit haben ihn schwerhörig gemacht und ihm Geruch und Geschmack geraubt. Das Fühlen hat er sich schon im Arbeitslager der Nazis abgewöhnt; es war zu ungenau und damit zu gefährlich.Vatter guckt nur, mit den Augen eines Falken. Liest in Gesichtern. Registriert jede Veränderung. Und weiß Bewegungen zu deuten. Auch das hat er als junger Zwangsarbeiter lernen müssen: Sein Überleben hing davon ab. Heute ist das anders: Was hinter der Panoramascheibe zu sehen ist, bedroht ihn nicht. Er darf der Welt zuschauen, ohne beteiligt oder betroffen zu sein. Das ist das Geschenk seines hohen Alters: die Gnade einer Welt hinter Glas.
Diesseits der Scheibe ist Vatter zu Hause: In seinem Zimmer, das er sehr ungern verlässt. Denn das Verlassen dieses Zimmers heißt verlassen werden, verlassen sein: in der Ambulanz, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Er hat sich eingesponnen in seinen vier Wänden. Betrachtet sie jeden Morgen, wenn das Licht angeht, mit unstillbarer Neugier. „Hier bin ich also!“, sagen seine Augen: „Hier ist es gut!“ Und deshalb lasse ich ihn erst einmal schauen, gönne ihm ein gutes Stündchen für sich alleine, bevor wir beide mit den Zwangsläufigkeiten des Alltags beginnen.
Vatter ist gerne allein. Schon früher wurde ihm menschliche Gesellschaft bald lästig: Sie hielt ihn ab von der Kontemplation. Er ist sich selbst genug, für eine lange Weile.
Äthiopisches Tagebuch (1): Afrika schickt kein Schiff zu uns
Wir schicken jedes Jahr – und scheuen dabei weder Leben noch Geld – ein Schiff nach Afrika, um Antwort auf die Fragen zu finden:
> Wer seid ihr?
> Wie lauten eure Gesetze?
> Welche Sprache sprecht ihr?Sie aber schicken nie ein Schiff zu uns.
Dies Herodot-Zitat hat Wolfgang Herrndorf seinem Roman „Sand“ vorangestellt. Es sei das Motto des Äthiopien-Blogs.
Ein flapsiger Menschenfeind: Jussi Adler Olsens „Erbarmen“
Jussi Adler Olsen ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Europas: Die Krimis um den Sonderermittler Carl Morck kommen stets auf Spitzenplätze der deutschen Bestsellerlisten. Kein Däne verkauft bei uns mehr Bücher.
So ist es erstaunlich, dass erst in der kommenden Woche eine Verfilmung in die deutschen Kinos kommt:
„Erbarmen“, der erste von fünf Fällen des Kommissars Carl Morck. Die Bücher von Olsen lesen sich schon wie Drehbücher, wie vorbereitet für die Verfilmung: schlicht, einfach schlicht.
Die Kritiken für den Film sind eher verhalten: durchschnittlich spannend – und keineswegs so spektakulär wie die Verfilmungen der Stieg-Larsson-Trilogie.
Der Schwede Larsson, auch ein Bestseller-Autor, hatte eine ebenso lange wie spannende Verschwörungsgeschichte geschrieben um den Enthüllungs-Journalisten Mikael und die skurrile Internet-Hackerin Lisbeth. Die Kritiker waren entweder begeistert oder entsetzt über Stil wie Handlung in Larssons Romanen – so wie sie es bei Olsen sind.
Worum geht es in „Erbarmen“, dem ersten Fall des Kommissars Carl Morck vom Sonderdezernat Q: Ein Frau wird vermisst, die Polizei tappt im Dunkeln, legt den Fall als „ungelöst“ ab, obwohl in demselben Monat fünf weitere Frauen verschwinden.
Offenbar hat das Verschwinden zu tun mit einem Tabu-Thema der dänischen Geschichte: Fast vierzig Jahre lang bis 1961 sperrte der Staat „unmoralische“ Frauen auf eine Insel und sterilisierte sie.
Wie in den anderen Morck-Büchern hat der Kommissar nicht nur seine Probleme im Dienst, sondern auch im Privaten: Er plagt sich mit Schwester und Bruder herum und vor allem mit der geldgierigen Noch-Ehefrau und einer drohenden Scheidung.
Wie in vielen nordischen Krimis stehen Charakter, Eigenwilligkeit und Lebensverdruss des Kommissars im Mittelpunkt: Sie sind der personifizierte Weltuntergang, glauben weder an Gott noch die Menschen noch an sich selbst – und sind mit dieser Weltsicht prädestiniert, selbst die schwierigsten Fälle zu lösen.
Doch während bei den meisten Nord-Kommissaren, wie Mankells „Wallander“, eine stolze, auf Mitleid zielende Melancholie herrscht, ist Carl Morck ein flapsiger Menschenfeind mit verletzenden Sprüchen und flapsigem Benehmen. Ein pubertierender Jüngling könnte nicht schlimmer sein.
Ein Beispiel aus „Erwartung“, dem neuen, dem fünften Carl-Morck-Roman:
„Kopfschüttelnd sah sich Morck in der Kantine um. Was sollte das denn werden? War er in einen Kindergeburtstag geraten oder hatte einer der Kollegen zum soundsovielten Mal geheiratet – in der bescheuerten Annahme, dass ihn diesmal das irdische Paradies erwartete?“
Wer diesen Ton mag, liest die Krimis mit Begeisterung. Wer ihn nicht mag, langweilt sich. Aber Hunderttausende von begeisterten Lesern können nicht irren.
Worum geht es im neuen, dem fünften Roman, in „Erwartung“:
Die Mafia hat Kopenhagen im Griff, die Politik ebenso wie die Finanzwelt. Zwischen die Fronten gerät der fünfzehnjährige Marco, ein berufsmäßiger Bettler, der vor dem brutalen Anführer flieht, eine Männerleiche findet und um sein Leben fürchten muss.
Marco fühlt sich auch nicht wohl in dieser kalten Welt – in dieser typischen dänischen Krimi-Welt, die so gar nichts gemein hat mit den Dänen, die wir im Strand-Urlaub auf Bornholm kennenlernen, mit denen sich gut feiern lässt und die so herrlich unkompliziert sind. Bei Olsen sind die Dänen anders:
„Die Dänen hielten sich lieber zurück, wenn es darauf ankam, das wusste Marco aus Erfahrung. Wie oft hätte er selbst damals aufgehalten werden können, wenn die Hilferufe der Überfallenen durch die Straßen hallten. Doch dergleichen war nie passiert. Damals hatte ihm diese Passivität Sicherheit verliehen, heute machte sie ihn nervös.“
Den Leser macht es nicht nervös.
THÜRINGER ALLGEMEINE – Ausgabe Erfurt, 18.01.2014, S. 31 / Beilage
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