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Blog von Paul-Josef Raue ::

Nach Anschlägen in Paris äußerst aktuell: Wickerts neuer Krimi über korrupte Afrika-Politik Frankreichs

0 Kommentare / Geschrieben am 18. November 2015 von Paul-Josef Raue in Krimis, Politik.

Ulrich Wickert: Das Schloss in der Normandie. Hoffmann-und-Campe-Verlag, 318 Seiten, 22 Euro

„Na schön, du kannst mich gerne zitieren“, sagt Roland Dumas, Anwalt und Ex-Außenminister Frankreichs. „Französische Politiker werden von afrikanischen Staatschefs finanziert. Punkt. Das ist die Grundlage der französischen Afrikapolitik. Scherzhaft nennt man das in Regierungskreisen „Revolutionssteuer“.

Der Anwalt, über 90 Jahre alt, erzählt dem Kommissar, wie er für Jacques Chirac Koffer voller Bargeld in Afrika abgeholt, im Rathaus abgeliefert und so seinen Wahlkampf finanziert hatte. „Das System läuft noch immer noch wie geschmiert. Es wurde gleich nach der Unabhängigkeit der französischen Kolonien in den sechziger Jahren eingerichtet. Und seitdem haben alle frankophonen Staatschefs in Afrika die politische Klasse Frankreichs finanziert.“

Dies ist die Schlüsselszene in Ulrich Wickerts sechstem Frankreich-Krimi um den Pariser Untersuchungsrichter Jacques Ricou. Wickert, der Korrespondent in Frankreich war, zeigt die dunkle Seite der stolzen französischen Nation, beschreibt die immer noch koloniale und korrupte Politik der Pariser Regierungen, ob von rechts oder links.

Die Handlung in Wickerts Krimi ist unbeabsichtigt aktuell geworden nach den Attentaten in Paris. Denn die Wurzeln des Terrors reichen in der Tat tief in die Kolonial-Historie Frankreichs. Anders als die meisten anderen Mächte hat Frankreich bis heute nicht auf seinen Einfluss, auch militärisch, verzichtet.

Frankreich ist Partei, stets auf Seiten der Diktatoren in Afrika, etwa in Mali: Dort beherrschen islamistische Terroristen weite Teile des Nordens trotz des Militär-Einsatzes der Franzosen. In Mali will künftig die Bundeswehr den Franzosen auf deren Bitten hin intensiv helfen.

Ulrich Wickerts Roman spielt in Paris und in dem  kleinen westafrikanischen Staat Äquatorial-Guinea: Jesu, Vizepräsident des Landes und Sohn des Diktators, lebt feudal im teuersten Viertel von Paris und vermehrt seine Milliarden vor allem durch  Huren, die er in den armen Ländern der Welt rekrutiert. Als ihn  „Transparency International“ verklagt und Richter Ricou die Klage annimmt, dreht die Regierung durch:

Auf Druck des afrikanischen Diktators entlässt Frankreichs Präsident den zuständigen Minister und versucht, durch Intrigen und gefälschte Anschuldigungen den Richter aus dem Amt zu kegeln. In einer der schönsten Passagen des Romans erklärt ein Anwalt dem Staats-Gangster Jesu, wie die französische Justiz funktioniert; er überträgt die Gewaltenteilung ins Afrikanische:

„In Frankreich regieren drei rivalisierende Stämme: Der eine beherrscht die Nationalversammlung, der andere stellt den Präsidenten, und der dritte Stamm kontrolliert die Justiz.“ Das versteht der Präsidenten-Sohn und fragt: „Wer ist Clan-Chef der Justiz?“

„Das verstehen selbst viele Franzosen nicht“, erwidert der Anwalt. „Einen einzigen Clanchef gibt es nicht, sondern die Justiz wird von einem Rat der Weisen geführt, in dem auch Marabous und Juju-Priester sitzen.“

Auch das versteht Jesu – und es macht ihm Angst. „Marabous und Juju-Priester hatten große Macht und Zugang zu den bösen Geistern. Sie waren nicht zu zähmen. Selbst sein Vater fürchtete sich vor ihnen.“

Ulrich Wickert hat einen ruhig erzählten, gleichwohl spannenden Krimi geschrieben, der leicht in ein, zwei Nächten zu lesen ist. Seinen Reiz gewinnt er vor allem durch die Nähe zur aktuellen politischen Geschichte, so dass weite Teile des Buchs wie eine Dokumentation zu lesen sind,   und eine Parallel-Handlung, die ebenso wenig erfunden ist wie die Neigung französischer Politiker zur Korruption: In dem Schloss in der Normandie, das dem Buch den Titel gibt, wird in Menschenversuchen an einer Wahrheits-Spritze geforscht – im Auftrag von Geheimdiensten wie dem CIA.

**** Lesenswert

Ein ungewöhnliches DDR-Journalistenleben: Uwe Gerigs „Geschichten aus einem zerrissenen Land“

0 Kommentare / Geschrieben am 21. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Bücher, Politik, Sachbuch.

 Am 7. November 1983 stellte eine Richterin am Kreisgericht Erfurt Mitte einen Haftbefehl aus – „weil konkreter Fluchtverdacht vorliegt und der Beschuldigte flüchtig ist“. Man könnte diese Begründung in das Kuriositäten-Kabinett der Justiz ablegen, wenn der Befehl einen Anlass zum Schmunzeln böte.

Wir lesen in der Begründung:

Der Beschuldigte erhielt gemeinsam mit seiner Ehefrau für die Zeit vom 10. Bis 25. Oktober 1983 eine Touristenreise in die SFRJ genehmigt. Von dieser Reise ist er gemeinsam mit seiner Ehefrau nicht wieder in die DDR zurückgekehrt. Am 18.10.1983 informierte er die Tochter, daß sich beide Beschuldigte in der BRD befinden und nicht wieder in die DDR zurückkommen.

SFRJ war Jugoslawien.

Der Beschuldigte ist Dr. Uwe Gerig, geboren in Nordhausen geboren und wohnhaft in Erfurt: Den Haftbefehl konnte er erst ein Jahrzehnt später lesen – in seiner Stasi-Akte. Mit dem Faksimile eröffnet der ehemalige Fotograf des „Volk“, dem SED-Vorgänger unserer Zeitung, sein Erinnerungsbuch „Krebs & Stier“.

Als ausgezeichneter „Aktivist der sozialistischen Arbeit“, der alle drei Jahre ein neues Auto kaufen durfte und der in einer großzügigen Penthouse-Wohnung lebte, fühlte sich Gerig als ein „nützlicher Idiot“: „Im Auftrag der Partei führte ich in unserem Blatt mit Bildberichten jede Woche von Neuem eine DDR vor, die es so gar nicht gab.“

Er war Erfurter Bezirks-Korrespondent der NBI, der „Neuen Berliner Illustrierte“, die Woche für Woche 48 Seiten hatte und eine Auflage von fast 750.000 Exemplaren. Die NBI-Position stand am Ende einer wahnwitzigen Karriere in der DDR: Gerig hatte Journalistik im „Roten Kloster“ in Leipzig studiert, wo „bedingungslos gehorsame Parteikader“ herangebildet wurden; er kam als Redakteur zum „Volk“; er nannte das ZK-Mitglied Eisler, als er von seinem Tod hörte „Ach, das Rumpelstilzchen“; dies Wort legte der Chefredakteur als „Verrat an der Sache der Arbeiterklasse“ aus und schmiss ihn raus: Er war arbeitslos – bis er das Angebot der NBI bekam, als freier Journalist zu berichten.

„Es reicht. Wir sollten gehen!“, sagte Gerig Frau Ruth trotzdem 1982. So begann eine ebenso abenteuerliche wie einzigartige Flucht:

Gerig bekommt eine Urlaubsreise nach Jugoslawien genehmigt, erhält im Zagreber Konsulat der Bundesrepublik von einem unwirschen Beamten zwar „Personen-Ersatzdokumente“, aber kein Geld für die Fahrkarte nach Österreich; von Freunden in Frankfurt lässt sich das Ehepaar Geld überweisen und flieht im Zug, nachdem es quälend lange auf die Überweisung gewartet hatte.

Das Buch ist eine Sammlung von rund 150 meist kurzen Episoden: Reisereportagen aus Nord-Korea und Vietnam, Erinnerungen aus dem Alltag in der DDR und der Bundesrepublik nach der Flucht. Der größte Teil  folgt dem Buch „Die Stasi nannte mich Reporter. Journalist in Ost und West“, das Gerig 2009 herausgegeben hat.

Pünktlich zum 25-Jahr-Jubiläum der Einheit hat er diese Texte aktualisiert und erweitert. Die Mischung der Artikel irritiert allerdings: Nur mühsam ist ein roter Faden zu entdecken. Sicher, Gerig erzählt sein Schicksal, aber das hätte er sinnvoller an einem Stück als Lebens-Roman erzählt. So muss sich der Leser das außergewöhnliche Leben eines DDR-Bürgers wie ein Puzzle zusammensetzen. Lesenswert ist es trotzdem.

*** Uwe Gerig: Krebs & Stier. Deutsche Geschichten aus einem zerrissenen Land. 368 Seiten, 24.90 Euro

 

LESEPROBE

Erfurt. Sieh mal an!

Erfurt kennen wir gut. In der Stadt haben wir achtzehn Jahre gewohnt. Erfurt ist uns trotzdem immer fremd geblieben. Keine Heimatgefühle? Keine Sehnsucht? Nein, nichts von allem. Seltsam!

Als wir unsere Wohnung in der Friedrich-Engels-Straße 47/144 1983 zum letzten Mal abschlossen und die vorher lange geplante Flucht in den WESTEN antraten, ließen wir Erfurt ohne Wehmut hinter uns.

Wegen der negativen persönlichen Erlebnisse in der Stadt, Denunziation, später ein Anwerbungsversuch durch den Staatssicherheitsdienst, Postkontrolle, Spitzelberichte und eine seltsame Stasi-Akte war Erfurt auch nach 1989 für uns ein abgeschlossenes Kapitel. Keine Heimatgefühle! Keine Sehnsucht!

Als mir eine Zeitschrift 2009 eine Reise nach Erfurt vorschlug, damit ich im Zusammenhang mit einer Buchveröffentlichung meine vor der Flucht 1983 in Erfurt gemachten Fotos mit Bildern von heute vergleiche, habe ich jedoch ohne Zögern zugesagt. Mit der Neugier des Reporters und Chronisten bin ich für zwei Tage in die Thüringer Landeshauptstadt gefahren.

Erfurt ist eine ansehenswerte Stadt geworden.

Ein erster Blick hinunter vom Petersberg auf den Domplatz und die Altstadt. Die Stadt scheint unverändert, was die Silhouette betrifft. Die hässlichen Betonklötze hinter den alten Türmen von Aegidiikirche und Kaufmännerkirche gab es damals schon, die noch höheren Wohnscheiben rechts von der Domgruppe sind erst Mitte der achtziger Jahre fertig geworden. Beide architektonischen Überbleibsel des realen Sozialismus umklammern alle anderen Häuser mit den steilen roten Ziegeldächern wie ein böser Krake.

Nach 1965 habe ich miterlebt, wie die im Zweiten Weltkrieg fast unzerstört gebliebene Altstadt von Erfurt nach und nach von Abrissbaggern plattgewalzt wurde. Hunderte kleine Wohnhäuser sind abgerissen worden, ganze Straßenzüge verschwanden. Die Namen der historischen Gassen gibt es nicht mehr. Ich habe damals den Abriss fotografiert, aber nur die Bilder von den Beton-Neubauten erschienen in der Zeitung. Und mein Archiv mit den vielen Dokumenten über das alte Erfurt hat der Staatssicherheitsdienst nach unserer Flucht beschlagnahmt, gründlich durchgesehen und dann am 16.07.1986 vernichtet. Unterschrift Major Küntzel. Das Dokument fand ich in meiner umfangreichen Stasi-Akte, die bei der Stasi-Unterlagen-Behörde, Außenstelle Erfurt, archiviert ist. Die Akte liegt in einem der ehemaligen Kasernengebäude auf dem Petersberg.

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Thüringer Allgemeine, Bücherseite, 9. Oktober 2015

Vom Abschreiben im Netz oder: Lernen, im Regen zu tanzen

0 Kommentare / Geschrieben am 19. Oktober 2015 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Zitate.

Man sollte im Leben nicht warten, bis der Sturm vorübergeht, sondern vielmehr lernen, im Regen zu tanzen.

Den Spruch las ich bei meiner Zahnärztin, die ihn am Empfang aufgestellt hat – mit dem Autoren-Hinweis: Theodor Fontane. Der Spruch, der aufgeregte Seelen wärmt, findet sich in einigen Zitate-Sammlungen, aber in Fontanes Werk ist er nicht zu recherchieren: Man schreibt also fleißig ab, einer vom anderen wie einst in der Schule und geht nicht an die Quelle. In welchem Zusammenhang taucht das Zitat auf? Was steht davor? Was dahinter?

Gerade das Internet hat uns unkritischer werden lassen: Wir glauben einfach, wenn bei Google einige Dutzend Belege zu finden sind. Nur – Google recherchiert nicht, Google kennt nicht die Wahrheit, Google listet auf.

Wer kennt den Ursprung des Zitats: Lernen, im Regen zu tanzen?

Von Abschied und Enttäuschung: Wie Hölderlin damit umging

0 Kommentare / Geschrieben am 5. September 2015 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Roman, Zitate.

Ein Mensch – „und wenn die Begeisterung hin ist, steht er da, wie ein mißratener Sohn, den der Vater aus dem Hause stieß, und betrachtet die ärmlichen Pfennige, die ihm das Mitleid auf den Weg gab“

Aus Hölderlins Briefroman „Hyperion an Bellarmin“, etwa  1799 geschrieben in der Nürtinger Neckarstiege in „der Mutter Haus“ – nach der Enttäuschung seines Lebens: Der 27-Jährige hatte sich unsterblich in Susette verliebt, die Frau des Bankiers Jakob Gontard, der ihn als Hauslehrer seiner Kinder verpflichtet hatte; als er die Liebe entdeckte, warf er Hölderlin raus.

Enttäuscht vom Leben ist auch der Grieche Hyperion, der seinem deutschen Freund Ballarmin schreibt: „Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sei mein eigen… Mein Geschäft auf Erden ist aus. Ich bin voll Willens an die Arbeit gegangen, habe geblutet darüber, und die Welt um keinen Pfenning reicher gemacht. Ruhmlos und einsam kehr ich zurück.“

Wie die Westfalen sind

0 Kommentare / Geschrieben am 29. August 2015 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Zitate.

Die Sturheit der Westfalen ist die früheste Form der Nachhaltigkeit.

Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau am 28. August 2015 zur Ausstellungs-Eröffnung „200 Jahre Westfalen“

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Quelle: RN-Newsletter von RN-Chefredakteur Wolfram Kiwit 29.8.

Abschied: Wenn ein Freund weggeht

0 Kommentare / Geschrieben am 24. August 2015 von Paul-Josef Raue in Zitate.

Wenn ein Freund weggeht, muß man die Türe schließen, sonst wird es kalt.

Bertolt Brecht – So eröffnete der TA-Deskchef seinen täglichen Newsletter an meinem letzten Arbeitstag in der TA; in seinem Newsletter steht der Plan für die kommende Ausgabe.

Selbstfindung – dafür reicht ein Leben nicht

0 Kommentare / Geschrieben am 29. Juli 2015 von Paul-Josef Raue in Gott, Glaube, Religion, Zitate.

Wir kennen den Satz, leicht dahingesagt: „Da kennst du mich schlecht.“ Marina antwortet leise ihrem Freund nach einer Pause:

Meine Mutter sagt, ein ganzes Leben reicht nicht einmal, um sich selbst kennenzulernen.

(Martin Suter, Montecristo, Seite 306)

Islamisten, Martyrer und Jungfrauen

0 Kommentare / Geschrieben am 28. Juli 2015 von Paul-Josef Raue in Allgemein, Gott, Glaube, Religion, Politik, Zitate.

Wer ernsthaft glaubt, nach dem Tod 72 Jungfrauen zu bekommen, der kann nicht erwachsen sein.

Der Anwalt eines jungen Mannes, der sich wegen Beteiligung am Terror in Syrien vor dem Oberlandesgericht München verantworten musste. Obwohl der Angeklagte bereits 21 Jahre alt ist, forderte sein Anwalt mit dieser „Jungfrauen-Begründung“ die Anwendung des Jugendstrafrechts.

Mörderbande in Nadelstreifen – Martin Suters Krimi „Montecristo“

0 Kommentare / Geschrieben am 26. Juli 2015 von Paul-Josef Raue in Bücher, Krimis.

Wollten Sie schon immer mal die Finanz-Krise verstehen? Und die undurchschaubare Rolle der Banken? Martin Suter erzählt von der Mörderbande in Nadelstreifen nebst Politikern so spannend und anschaulich, dass jeder gut unterhalten wird, einen spannenden Krimi nicht aus der Hand legen will – und nebenbei die Welt, auf jeden Fall Europa und seine Bürde besser versteht.

Suter erzählt den Bankenskandal am Beispiel eines einzelnen Bankers, der sich verspekuliert und bis zu zwanzig Milliarden in den Sand setzt. Ein einzelner reicht offenbar, um Staaten ins Wanken zu bringen, ein einzelner, der spielt, zockt, unersättlich ist oder einfach verrückt. Ein einzelner, der sich verspekuliert und Gewinne erfindet, um den Verlust auszugleichen mit fiktiven Gewinnen und Derivaten,

Derivate? „Ich weiß, kein Mensch versteht Derivate, nicht einmal die Banker, die sie verkaufen.“

Der Vorstandschef, als er endlich davon erfährt, befürchtet den Niedergang der Bank. „Nach den Erfahrungen der letzten Finanzkrise war die staatliche Rettung einer Bank, und sei sie noch so systemrelevant, politisch ausgeschlossen.“

Die zentralen Schurken treffen sich übrigens bei Geflügelleber und gepfeffertem Schweinebauch mit Geflügelgelee und gerösteten Landbrotscheiben, gefolgt von gekühltem bretonischem Hummer in Gelee mit frischen Mandeln.

„Alles eine einzige riesige Verschwörung“, sagt der Polizist. Und dazu braucht der Erzähler einen Selbstmord, einen Journalisten, der eigentlich nur einen Film über den Graf von Monte Christo drehen will und wider Willen zum Enthüllungsjournalisten wird, er braucht eine Liebesgeschichte und zwei Geldscheine mit identischer Seriennummer – das reicht.

Also ein starker Plot! Zwar ist Suters Stil keiner für Liebhaber, oder genauer: Er hat keinen eigenen Stil (aber könnte mal daran arbeiten), aber erzählen kann er, verdammt gut erzählen.

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Erweiterte Fassung eines Sommer-Buch-Tipps in der Thüringer Allgemeine 27. Juli 2015

Die Blutspur der USA – Orient-Experte Michael Lüders analysiert die amerikanische Götterdämmerung

0 Kommentare / Geschrieben am 23. April 2015 von Paul-Josef Raue in Politik, Sachbuch.

„Dieses Buch ist eine Abrechnung mit westlicher Politik.“ Was für ein Satz, den Michael Lüders gleich im ersten Absatz schreib! Also: Abrechnung mit Amerikanern und Europäern und allen im Westen, die sich zu den Guten zählen, zu denen, die Freiheit hochhalten und Menschenrechte.

Eigentlich müsste Lüders Buch das meistverkaufte in allen ostdeutschen Buchläden sein, trifft es doch den Nerv vieler, für die Amerika das Herz der Finsternis ist und Israel das Böse schlechthin. Doch wer nur seine Vorurteile, die schon vor der Wende galten, auffrischen will, den enttäuscht Lüders, der einer der besten Kenner des Orients ist und die Länder und Menschen von vielen Reisen und Begegnungen kennt.

Lüders sucht in der Geschichte die Ursachen für Kriege und Terror, für den Islamischen Staat und den Dschihad – und er geht zurück bis in die Kolonialzeit, als Briten und Franzosen Stammes-Grenzen zerstörten und mit dem Lineal neue zogen ohne Sinn, ohne Verstand.

Am Beispiel des Iran zeigt er, wie ein Staatsstreich von 1953 das Vertrauen der Menschen in die USA über Jahrzehnte bis in die Gegenwart zerstört hat. Vor gut sechzig Jahren, genau am 19. August 1953, organisierten der britische Geheimdienst und die CIA einen Putsch, mit dem sie den Regierungschef in Teheran stürzten, ein zudem an westlichen Werten orientierter Politiker, und dem Schah, einen willigen Diktator, die Rückkehr aus dem Exil ermöglichten und die Rückkehr zur alleinigen Macht.

„Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung.“ Diesen Satz sprach 2009 in Kairo ein des Anti-Amerikanismus unverdächtiger Mann: US-Präsident Barak Obama.

Was nach dem Putsch von 1953 folgte ist die iranische Antwort: Die „islamische Revolution“ Khomeinis, die 404-Tage-Geiselnahme von US-Diplomaten, der Nervenkrieg um die Atombombe – und ein tiefes Misstrauen gegenüber den USA und dem Westen insgesamt.

Lüders sieht in dem 1953-er Putsch ein Grundmuster, das die USA und ihre Verbündeten später immer wieder anwandten, ob in Afghanistan oder dem Irak und anderen Interventionen: Die Dämonisierung des Gegners.

Die Amerikaner haben, so Lüders, aus ihren Interventionen Kriegen, die sie führten und die alle scheiterten, nichts gelernt: „Der Weltpolizist hat wesentlich dazu beigetragen, unsere Feinde überhaupt erst zu erschaffen. Al-Quaida wie auch der ,Islamische Staat‘ verdienen beide das Label ,Made in USA‘“.

Lüders verweist auf das Misstrauen der arabischen Politiker, die sich nährt aus dem Gegensatz von Freiheits- und Menschenrechts-Versprechen auf der einen Seite und der breiten Blutspur auf der anderen sowie wirtschaftlicher Strangulierung und Zusammenarbeit mit übelsten Diktatoren – „solange sie nur pro-westlich sind“.
Lüders Buch ist ein tief pessimistisches. Auch Regierungen und Opposition im Orient verlieren sich „auf absehbare Zeit im Nebel von Gewalt und Zerstörung“, und Lüders fragt resignierend:

Zerfällt die staatliche Ordnung im Nahen und Mittleren Osten insgesamt, so wie Jugoslawien zerfallen ist? Die bewährten Methoden westlicher Einflussnahme, Militär und Sanktionen, werden daran im Zweifel nichts ändern.

Lüders Blick auf die neue Weltordnung ist eher nebelumhüllt: Der amerikanischen Götterdämmerung folgt eine Zeit neuer Unübersichtlichkeit, die nach Diplomatie, Interkulturalität und Pragmatismus verlangt. Ein bisschen mehr hätte sich der Leser am Ende einer Reise durch verglühende Illusionen, Werte und Hoffnungen schon gewünscht.

Mit kleinen Schritten sollen wir anfangen und selbst Verantwortung übernehmen. „Lernen wir Demut und Bescheidenheit, bei allem Stolz auf unsere eigene Kultur“ – so endet Michael Lüders und fordert uns auf, Antisemitismus und Islamhass zu ächten, Härte zu zeigen gegenüber allen, die unsere Freiheit missbrauchen und Flüchtlingen zu helfen, bei uns Wurzeln zu schlagen. Und dann?

****
Michael Lüders: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet. Beck-Verlag, 175 Seiten, 14,95 Euro

Thüringer Allgemeine, 25. April 2015

 

Kommentar per Facebook von Wolfgang Kretschmer (23. April)

Viele der von Ihnen in der Rezension des neuesten Buchs von Michael Lüders genannten Tatsachen zur „westlichen“ Kolonialpolitik in den Verfallszeiten des einstigen osmanischen Großreiches sowie zu von westlichen Geheimdiensten nicht nur in Iran zu Zeiten des Kalten Krieges organisierte Putsche sind bekannt und in historischer Forschung weitgehend aufgeklärt. Wobei sich man sich auch fragen muss, was Moskau per DDR-Mitteln zu diesen „Erkenntnissen“ beigetragen hat.

Prinzipiell fände ich es gut, wenn vernetzte auch in ökonomische Interessen eingebundene Autoren ihre Einschätzung zur Lage „Nahost“ auf dem Büchermarkt feilbieten wie etwa Jürgen Todenhöfer, der Autorenhonorare in Flüchtlingshilfe und Entwicklung vor Ort in die Hilfe für Opfer missratener Staatenbildung aus Kolonialzeiten steckt. Dies würde wie üblich bedeuten, dass unterhalb offizieller diplomatischer Ebene zuerst auf ökonomischen Wegen sich friedfertige Kontakte anbahnen.

Leider ist zu beobachten, was kein halbwegs aufgeklärter Mensch heutzutage mehr verstehen kann: Religiöses wird als Waffe eingesetzt. Wer erinnert sich heute noch an den brutalen, vordergründig religiös motivierten Konflikt auf einer europäischen Insel nahe bei England? Es gibt ja einige Leute, die über den Crash religiös geprägter Zivilisationen nachdenken. Die USA haben nach Su wahrscheinlich ihre „Götterdämmerung“ noch vor sich. Möge uns Gott in Europa gnädig sein.

 

Facebook-Kommentar von Martin K. Burghartz (23. April)

Interessanter Blick auf das Buch von Lüders. Kleine Korrektur auf die 404 tägige Geiselnahme von Diplomaten in Teheran. Diplomaten?? Das war ein einziges Spionagenest inkl Passfälscherwerkstatt und kann noch heute an wenigen Tagen im Jahr besichtigt werden.

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